Synagoge

Die Aufteilung der jüdischen Dreigemeinde in Hamburg 1812

von Simon Hollendung

5.7 Die Wirkung der Dekrete für die Juden in Frankreich

Das zweite Dekret behandelt alle außer-religiösen Fragen sehr restriktiv. „Napoleon zögerte nicht, den Juden wirtschaftliche […] Beschränkungen aufzulegen, und auf diese Weise die durch die Constituante geschaffenen Gesetze aufzuheben.“[169]
Damit konnte vom Prinzip der Gleichheit in Bezug auf die Juden nicht mehr gesprochen werden. Sie hatten kein uneingeschränktes Bürgerrecht, was den Ideen der Französischen Revolution zuwiderlief und auch ein Teil der Begründung sein könnte, warum die Juden im Hamburger Raum Napoleon eher als Unterdrücker denn als Befreier ansahen.
„Den Juden Frankreichs mögen diese Gesetze nach den Reden und Beschlüssen der Notabeln und des Sanhedrins, in denen sie den Kaiser als den Befreier des jüdischen Volkes gefeiert hatten, unerwartet gekommen sein.“[170]
Für Kultusminister Portalis lag das Problem seit Anfang an darin, dass die konstituierende Sitzung den Juden das Bürgerrecht gewährt hätte, ohne sie zu fragen, ob sie aus freien Stücken Bürger werden wollten. Da die Juden keine Sekte sondern ein eigenes Volk seien, handele es sich um eine politische Frage.
Die Juden hätten sich von sich aus verschlossen und daher seien Sondergesetze nicht gegen den ersten und obersten Grundsatz der Revolution, die Gleichheit.
Portalis wollte den Zinsfuss auf maximal 5 % beschränken und „die Einwanderung ausländischer Juden unter Kontrolle stellen.“[171] Nur in Frankreich geborene Juden sollten das (durch die Dekrete eingeschränkte) Bürgerrecht bekommen, ausländische Juden müssten es sich durch den Erwerb von Besitztum verdienen.
Viele dieser Vorschläge finden sich in den Dekreten Napoleons und einer weiteren Anordnung vom 30. Mai 1806, die allen Schuldnern jüdischer Gläubiger einen Aufschub für die Zurückzahlung von einem Jahr gewährte.
In dieser ersten Sonderbestimmung sahen viele Juden ihre Trennung von den übrigen Bürgern manifestiert, „eine Art Schandfleck, der sie in ihren früheren Zustand zurückführen würde, aus dem sie durch die Beschlüsse der Notabelnversammlung und des Sanhedrins herauszukommen gehofft hatten.“[172]
Auch glaubten viele Schuldner, durch Denunziation und Verleumdung der Juden einen weiteren Aufschub zu erlangen, was zu vielen Gerüchten und einer ähnlich angespannten Lage wie zuvor im Elsass führte.
Am 31. Mai 1807 lief die Frist des Aufschubs aus, der Kaiser weilte derzeit in Polen und Champagny machte Stimmung damit, dass die Juden bereits große Teile bestimmter Departements in ihren Händen hätten. Daraufhin verlängerten hohe Staatsbeamte den Aufschub eigenmächtig.
Verarmte Juden aus dem Elsass beschwerten sich, da sie nun ihren Gläubiger nicht bezahlen konnten. Erst die Dekrete vom 17. März 1808 schafften Klarheit, die Schuldner müssen zahlen, es sei denn sie könnten Wucher nachweisen, was wiederum zu Verleumdungen führt.
Alle Dekrete dieser Zeit waren mit einer 10-Jahres-Frist versehen, was noch einmal deutlich machte, dass man noch keine endgültig befriedigenden Lösungen gefunden hatte.
Genau in dieser unklaren Situation wurde Hamburg dem französischen Reich einverleibt und ab 1811 auch in der Hansestadt französisches Recht gesprochen. Die Juden im Hamburger Raum hatten, und hier sind Sepharden und Aschkenasim noch mal gesondert zu betrachten, ihre ganz eigene, unterschiedliche Geschichte. Mit Einführung des französischen Rechts wurden sie allerdings der französischen Diskussion von den Vorkommnissen im Elsass über Notabelnversammlung und Sanhedrin bis zu den daraus resultierenden Dekreten unterworfen.
Vor allem die Verschärfung des Militärdienstes traf die Hamburger Bevölkerung. Anders als alle anderen konnten die Juden keinen Ersatz stellen und mussten also persönlich ihren Dienst in der französischen Armee antreten. Diese spezielle Anordnung war wohl erlassen worden, um der Abneigung der Juden gegen die Armee entgegen zu treten. Das Sanhedrin hatte dazu angeordnet, „dass alle religiösen Gesetze für die Zeit des Militärdienstes ihre Gültigkeit verlieren sollten; aber viele Juden fühlten sich doch durch die Außerachtlassung der durch die Gebote vorgeschriebenen Verpflichtungen von Gewissensbissen geplagt.“[173]
Die Juden befürchteten (wohl nicht zu unrecht) Drangsalierungen von den Militärs und ab 1812 war es ihnen erlaubt, Glaubensgenossen als Stellvertreter zu schicken.
Des Weiteren regelten Beschränkungen den Zuzug von Juden, wie durch Portalis gefordert, und klärten Polygamie-, Ehe- und Scheidungsfragen im Sinne des französischen Rechts.
Bei der Namen, die sich durch Ortswechsel bei den Juden häufig änderten, wurde eine Regelung getroffen, die den Handel und die Militäraushebung erleichtern sollten: Nach einem weiteren Dekret vom 20. Juli 1808 sollten sich alle Juden innerhalb von drei Monaten einen Vor- und Familiennamen zulegen, der nicht aus der Thora abgeleitet werden durfte.
In der Folgezeit wurde von Seiten der französischen Regierung eine Art Entspannungspolitik versucht und viele Sonderdekrete für einzelne Departements erlassen, die vorherige Dekrete entschärften oder außer Kraft setzten. Dies führte allerdings zu einer großen Unübersichtlichkeit und häufigen Wohnortswechseln der Juden in Departements mit günstigeren Dekreten.
Am 11. April 1811, also wenige Monate vor Inkrafttreten der französischen Gesetzgebung in Hamburg, wurde weiteren Änderungen – wiederum per Dekret – ein Riegel vorgeschoben.
Das Zentralkonsistorium versuchte, „durch Zusammenarbeit mit der Regierung die Lage der Juden zu heben, um die jüdischen Bürger Frankreichs in das französische Staatsgefüge einzugliedern. Gegen Ende des Kaiserreiches kann eine erfreuliche Besserung der jüdischen Lage und der Sitten der jüdischen Bürger, bedingt durch die tolerante Politik der Regierung, festgestellt werden.“[174]

[169] Van der Walde (1933), S. 52.

[170] Ebd.

[171] Ebd, 53.

[172] Ebd, S. 55.

[173] Ebd, S. 57.

[174] Ebd., S. 59.
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