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3.3 Der Hamburger Amulettenstreit und seine beiden Protagonisten Jonathan Eybenschütz und Jakob Emden
Der so genannte Amulettenstreit, der auch als Hamburger Rabbinerstreit Eingang in die Literatur gefunden hat, zeigt das Judentum am Übergang von Tradition zur Moderne. Der „Streit ist letztlich ein Nachklang der sabbatianischen Bewegung und ein wichtiges Moment für die unter dem Einfluß der (jüdischen) Aufklärung einsetzenden Veränderungen und Neuerungen jüdischen geistigen und kommunalen Lebens in Deutschland und später in Europa.“[80]
Der Amulettenstreit spiegelt aber auch ein Spezifikum der Hamburger Situation in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder: Die Orthodoxie gab sich noch nicht geschlagen und gewann diese Auseinandersetzung vorerst für sich. Unter dem starken Einfluss der konservativen Oberrabbiner konnte eine Haskala-Bewegung nur sehr bedingt entstehen. Erst mit dem Ende der Dreigemeinde änderte sich dies schlagartig.
Anlaß des Streits war ein Amulette, das Oberrabbiner Jonathan Eybenschütz Wöchnerinnen übergeben hatte. Der Rabbi Jakob Emden glaubte auf diesen Amuletten sabbatianische Textpassagen[81] gefunden zu haben, und klagte Eybenschütz deswegen im Februar 1751 öffentlich an. Der Streit ist durch verschiedene Protokolle der jüdischen Gemeinde Altona belegt.[82]
Prekär war die Lage vor allem deshalb, weil Eybenschütz erst 1750 als Oberrabbiner von Altona (also zuständig für die Jurisdiktion der Dreigemeinde und darüber hinaus) nach Hamburg gekommen war, der in Altona geborene Emden dagegen bereits seit 1732 wieder an seinem Geburtsort lebte und dort beste Kontakte sowie eine eigene Druckerei unterhielt, die ihn zu einem gefährlichen Feind machten.
Es entbrannte zwischen den beiden Rabbinern ein erbitterter Streit, in dem beide sich gegenseitig den Bann aussprachen.
Freimark schildert den Streit sehr anschaulich: „Sendschreiben gingen hin und her, die Gemeinde zerfiel in zwei Gruppierungen, Rabbiner aus ganz Europa meldeten sich zu Wort, die Behörden in Hamburg und Kopenhagen wurden eingeschaltet.“[83]
Besondere Brisanz lag in den beiden Charakteren der Kontrahenten, weil sie auch noch Generationen später als Sinnbilder des Konfliktes zwischen Tradition und Moderne gesehen wurden.
Jonathan Eybenschütz wurde um 1690 in Mähren geboren, war viele Jahre Rabbiner in Prag und wurde 1741 als Oberrabbiner nach Metz gerufen. Von dort aus kam er 1750 als Nachfolger des Oberrabbiners Katzenellenbogen nach Hamburg. Eybenschütz entstammte damit eindeutig der aschkenasichen Orthodoxie, die vor allem im Osten Europas ihre Wurzeln hatte, und wurde als konservativer Bewahrer der Tradition nach Hamburg geholt.
Jakob Emden hingegen war der Sohn des ehemaligen Oberrabbiners Chacham Zwi Aschkenasi[84] und damit tief in der Hamburger Judenschaft verwurzelt. Sein Vater hatte zeitlebens gegen die Auswüchse des Sabbatianismus gekämpft, war über Mähren, Budapest, Sarajewo (wo er als Rabbiner tätig war) und Berlin nach Altona gekommen. Er heiratete die Tochter des Oberrabbiners Salman Mirels Neumark, wodurch sein Sohn Jakob doppelt mit der altonaischen Geistligkeit verbunden war. 1706 wurde Chacham Zwi Aschkenasi zum Oberrabbiner der Dreigemeinde und zeichnet sich in seiner Jurisdiktion durch lebensnahe Entscheidungen aus, die ihm die ständigen Angriffe der Orthodoxen brachten und auch 1709 zu einem Verzicht auf das Amt führten. Chacham Zwi hatte entschieden, dass ein geschlachtetes Huhn, dessen Herz bei der Schlachtung nicht gefunden wurde, als koscher gelten konnte. Diese praktische und lockere Auslegung der Gesetze führte zum Streit mit dem zweiten Oberrabbiner Moses Ben Mordechai, der eine strenge Auslegung der Gesetze Moses verlangte. Chacham Zwi floh verbittert nach Amsterdam, bekam dort Streit mit Sabbatianern und starb (über die Zwischenstation London) schließlich 1718 in Lemberg.
Der Sohn Jakob Emden war also vorgeprägt und sensibilisiert, was die Orthodoxie und den Sabbatianismus angingen. Nach seiner Ausbildung übte er nur drei Jahre die Funktion eines Rabbiners in Emden aus (1729 – 1732), bevor er nach Altona zurückkam und bis an sein Lebensende kein öffentliches Amt mehr bekleidete. Stattdessen wurde er Privatgelehrter und bekam 1743 das Privileg vom dänischen König Christian IV., eine eigene Druckerei zu unterhalten. Er verfasste Sendschreiben, Kommentare, ein Gebetbuch und auch eine eigene Biographie, die allerdings nie veröffentlicht wurde.
Im Alter wurde Jakob Emdens liberales Gedankengut deutlicher. Er trat in Korrespondenz mit Moses Mendelssohn und wendet sich verschiedenen weltlichen Wissenschaften zu. Das „führte viele seiner Interpreten dazu, in ihm einen Schlußstein traditioneller Geisteskultur und Vorläufer der Aufklärung zu erkennen.“[85] Diese wichtige Funktion von Jakob Emden wurde vor allem auch in Hinblick auf seinen Vater, den pragmatischen und lebensbejahenden Rabbi deutlich. Allerdings sollte dieser Umstand nicht den wirklichen Anlass des Amulettenstreits verdeutlichen, schließlich ging es vorrangig um Aberglaube und Banngewalt.
Mit dem Amulettenstreit war auch das Konfliktpotenzial zwischen armen und reichen, sowie Hamburger und Altonaer Juden deutlich zutage getreten. Der Hamburger Senat wollte „seine Juden der dänischen Oberhoheit [...] entziehen"[86] und noch lange nach dem Ende des Streits im Jahre 1756 war das jüdische Leben in Hamburg geistig gelähmt. Erst langsam entfalteten sich Debatten gegen ein rückständiges Rabinat, dessen Banngewalt vor allem kritisiert wurde, und über Fragen, wie weit die äußerliche Assimilation mit der nicht-jüdischen Umwelt gehen durfte.
Das intellektuelle Potenzial stellten einige wenige jüdische Ärzte. Ansonsten blieben gesellschaftliche Kontakte mit der Umwelt, obwohl Juden und Nicht-Juden ständig geschäftlich miteinander verkehrten, aus. „Jüdische Salons, wie sie für Berlin typisch waren, konnten sich bei einem solchen sozialen Klima in Hamburg nur schwer herausbilden."[87]
Sehr schwerfällig und mit bis zu 50 Jahren Verspätung im Vergleich zu Berlin, also erst nach dem Ende der Dreigemeinde, fanden in Hamburg ab 1826 Salons[88], Lesungen, Konzerte und Lesezirkel statt. Ob es ein Zufall war, dass diese Indikatoren für ein aufgeklärtes Judentum erst nach Auflösung von Dreigemeinde-Verband und konservativer Rabbinats-Jurisdiktion auftraten, wird im Weiteren untersucht (Vgl. Kap 3.4 und Untersuchungsergebnis).
Der kleine Kreis der christlich-aufgeklärten Öffentlichkeit registrierte dies äußerst positiv, das Gros des Hamburger Bürgertums blieb allerdings bei seiner Ausschlusspolitik. Juden sollten weiterhin in bestimmten Wohnquartieren zusammengehalten werden und die lutherische Orthodoxie wollte das Ausleben der jüdischen Religion weiterhin im Sinne des 1710-Reglements beschneiden. Wohl nicht durch Bekehrungseifer, sondern wegen stark verbesserten Aufstiegschancen ließen sich viele Juden, vor allem junge Intellektuelle taufen, andere wie Gabriel Riesser waren strikt dagegen.
Größeres Konfliktpotential bestand allerdings in sozialen Unterschieden. So zogen sich die Juden den „ökonomischen Neid der Handwerker und Krämer“[89] zu, auch wenn gemäß Herzig die Einzelfälle in der Presse meistens übertrieben wurden.[90] Die Dreigemeinde konnte selbst entscheiden, welcher Jude in Hamburg leben durfte. Gerade bei nachlassender Konjunktur führte dies schnell zu einem Anwachsen der jüdischen Armen, deren größter Teil stets in Altona lebte. Nachdem der Senat 1788 ein Bettelverbot ausgesprochen hatte, drohte auch die jüdische Gemeinde den armen Juden, ihre Unterstützung zu entziehen und im Falle von Gefängnisstrafen nicht helfend einzugreifen, wenn dagegen verstoßen wurde.
[80] Freimark, Peter: Das Oberrabbinat Altona – Hamburg - Wandsbek, in: Die Juden in Hamburg 1590 – 1990, hrsg. von Arno Herzig, Hamburg 1991, S. 177 – 185. Hier: S. 181. [1991a]
[81] Vgl. für Erklärung und Herkunft des Sabbatianismus Kap. 2.4 dieser Arbeit.
[82] StaAHH BJG 522-1 88 b Sa.
[83] Freimark (1991a), S. 181.
[84] Vgl. für die letzten Oberrabbiner der Dreigemeinde auch: Freimark, Peter: Porträts von Rabbinern der Dreigemeinde Altona – Hamburg – Wandsbek aus dem 18. Jahrhundert, in: Juden in Deutschland, hrsg. v. Ders. u.a., Hamburg 1991. S. 36 – 57. [1991c]
[85] Freimark (1991a), S. 181. Freimark verweist auf die detaillierte Arbeit von Schacter, Jakob Joseph: Rabbi Jacob Emden. Life and Major Works. University Microfilms International (UMI), 2 Bde., Ann Arbor Ml. 1988.
[86] Herzig, Arno: Die Juden in Hamburg 1780 – 1860, in: Ders. (Hrsg.): Die Juden in Hamburg 1590 – 1990, Hamburg 1991, S. 61.
[87] Ebd., S. 62.
[88] Ab 1826 gehörte Heinrich Heine dem ersten Salon, der sich aus Ärzten und Schriftstellern zusammensetzte, an. Anfang der 1840er fanden in einem zweiten Salon literarische Tees statt, denen neben anderen Autoren auch Gabriel Riesser beiwohnte.
[89] Herzig (1991), S. 64.
[90] Vgl. Ebd.
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