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3.2 Der Altonaer Friedhofstreit führt zur Gründung der Dreigemeinde
Die Beerdigung der Toten in Altona fand zunächst am Heuberg, heute Königsstraße, außerhalb der Stadt statt. Dort hatten die Sephardim am 31. Mai 1611 ein Stück Land vom Grafen Ernst III. von Holstein-Schaumburg erworben.[71]
Aschkenasischen Juden kauften nach vierjähriger Verhandlung das daneben liegende Grundstück um dort 1616 einen "deutschen Friedhof" in Betrieb zu nehmen. Beide Friedhöfe konnten, auch nachdem Altona dänisch geworden war, weiter benutzt werden.
Hinzu kam der Friedhof Ottensen, der seit 1666 von Aschkenasim aus Altona betrieben wurde.[72] Hier wollten sich die Hamburger Aschkenasim gegenüber der größeren und tonangebenden Gemeinde in Altona behaupten. Sie forderten Autonomie bei der Bestattung ihrer Angehörigen und dies spiegelte den Wunsch nach mehr Selbstständigkeit auch in anderen Bereichen wieder.
Der Streit zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitglieder der Altonaer Gemeinde (die aufbegehrenden Hamburger Juden waren keine Altonaer Schutzjuden) führte zu einem Urteil, dass die Gründung der Dreigemeinde nach sich ziehen sollte.[73]
Am 30. Juli 1669 kam der extra von außerhalb herangezogene Frankfurter Oberrabbiner Aharon Koidonower zu einem Urteil, das im Staatsarchiv Hamburg nachzulesen ist.[74]
Bezüglich des so genannten Friedhofsstreit entschied Koidonower, dass der Friedhof Ottensen fortan dem Besitz beider Gemeinden mit beidseitigem Nutzungsrecht nach den jeweiligen Gemeinderiten gehören sollte.
Grundsätzlich legte das Urteil aber fest, dass sich die Hamburger Juden dem Altonaer Rabbinat und seinen Entscheidungen zu unterstellen hatten. Zwar sollte eine Selbstständigkeit der Hamburger Gemeinde gewährleistet werden, dieser Passus diente aber anscheinend vor allem zur Beruhigung der Hamburger Behörden und Gemeinden, die eine festgeschrieben Abhängigkeit von Altona kaum hingenommen hätten.
Wie wenig diese Schein-Selbstständigkeit der Hamburger Gemeinde zutraf, zeigt der Umstand, dass die neue Regelung erst zwei Jahre später 1671 in Kraft treten konnte, als der Vertrag des Hamburger Gemeinde-Rabbiners auslief.
Am 29. Juni 1671 unterstellte sich auch die Wandsbeker Gemeinde dem Altonaer Oberrabbiner.[75]
Aus diesem Zusammenschluss erwuchs die Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek, die bis zu ihrer Auflösung in der Franzosenzeit 1811 bestimmend für jüdisches Leben im Hamburger Raum wurde. Innerhalb dieser Schalosch kehillot AHW blieb Altona der Hauptort, weil die größte Gemeinde über die meiste Autonomie, ausgebaute jüdische Institutionen und eigene Gerichtsbarkeit verfügt.
Graupe selbst nennt den neuen Gemeindeverband stets vorsichtig eine Konföderation[76] und geht damit sicherlich von der damaligen Sprachregelung der Hamburger Juden aus, da eine Konföderation nicht notwendigerweise das Einverständnis der Konföderierten voraussetzt. In der weiteren Literatur wird nur von Dreigemeinde AHW oder der hebräischen Übersetzung Schalosch kehillot AHW gesprochen[77], was der Realität eines Gemeindeverbandes unter eindeutiger Führungsrolle Altonas näher kommt.
Faktisch erstreckte sich die Jurisdiktion des Altonaer Rabbiners, die zuvor schon alle Juden im dänischen Gebiet umfasste[78], nun auf alle Juden im Hamburger Raum und damit erstmals über dänisches Gebiet hinaus.
Die Statuten der Gemeinden wurden einander bzw. den Altonaer Statuten angeglichen. „Dennoch war jede Gemeinde selbstständig und wachte eifersüchtig auf ihre Selbstständigkeit, insbesondere die kleineren Gemeinden Hamburg und Wandsbek.“[79]
Zu diesen innerjüdischen Eifersüchteleien kam der politische Streit zwischen Hamburg und Dänemark, in den die Gemeinden von nun an bis zur Auflösung der Dreigemeinde bei jeder Entscheidung involviert waren.
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[71] Vgl.: Böhm (1991), S. 23 und Freimark (1981), S. 118.
[72] Vgl. Kap. 2.5.
[73] Vgl. Graupe (1973), S. 19.
[74] StaAHH BJG 522-1 88 c, Bl. 2a ff.
[75] StaAHH BJG 522 – 1,1, Bl. 23 a.
[76] Graupe (1973), S. 19ff.
[77] Vgl. Freimark (1991b), Herzig (1991), S. 61-75, Streicher (1989), Vorwort.
[78] Vgl. Kap. 3.4 dieser Arbeit.
[79] Graupe (1973), S. 19.
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